Erfinderisch genug?

01.08.2006 – Zu den absolut notwendigen Merkmalen einer patentfähigen Erfindung gehört, dass sie „erfinderisch“ sein muss, da dieses Kriterium für die Patentierung unbedingt vorausgesetzt wird. Die Beurteilung der erfinderischen Höhe fällt in der Praxis nicht immer leicht. Die Rechtsprechung im Patentwesen hat daher sogenannte Beweiszeichen entwickelt, die herangezogen werden können, um „erfinderisch“ genauer zu definieren. 



„Erfinderisch“ ist eine Erfindung nach dem Patentgesetz, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 4 S.1 PatG).
Gemeint ist dabei der Durchschnittsfachmann (nicht die spezialisierte Koryphäe), der auf dem Fachgebiet tätig ist, auf dem die Erfindung wirksam sein soll. Er kennt den gesamten Stand der Technik, der nach dem Gesetz alle Kenntnisse umfasst, die vor dem Anmeldetag (d.h. dem Prioritätsdatum) der Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Zum Stand der Technik gehören darüber hinaus die noch nicht veröffentlichten, aber bereits angemeldeten Patente.
Eine Lösung, die von dem beurteilenden Fachmann durch Kenntnis des veröffentlichten Standes der Technik „naheliegend“ gefunden werden kann, ist nur eingeschränkt, unter Umständen auch gar nicht mehr patentfähig.

Konkret wird vom Deutschen Patentamt geprüft, ob das Verfahren oder das Erzeugnis, das patentiert werden soll, mit all seinen Merkmalen in der veröffentlichten Literatur bereits offenbart wurde. Dabei wird kein Einzelvergleich der Merkmale geführt, d.h. es wird nicht geprüft, ob alle Merkmale in einem einzelnen, zum Stand der Technik gehörenden Dokument vorkommen. Vielmehr wird geprüft, ob Veröffentlichungen verschiedener Erfindungen miteinander kombiniert alle Merkmale der potenziellen Erfindung enthalten. Trifft dieses zu, so kann der Erfindung die notwendige Erfindungshöhe aberkannt werden. Außerdem wird untersucht, ob es bereits Hinweise gibt, diese bekannten und veröffentlichten Merkmale tatsächlich zu kombinieren. Trifft dies zu, so hat die Erfindung sicher nicht die für eine Erteilung notwendige Erfindungshöhe.

In der Praxis werden darüber hinaus bestimmte Anzeichen geprüft. Eine erfinderische Tätigkeit wird als gegeben gesehen, wenn

  • das Problem seit langem bekannt ist und eine Lösung gesucht wird,
  • die Fachwelt sich bisher vergeblich um eine Lösung bemüht hat,
  • technische Fehlvorstellungen oder Vorurteile der Fachwelt überwunden werden,
  • besondere Schwierigkeiten bewältigt werden mussten,
  • eingefahrene Wege verlassen werden und die Entwicklung der Technik in eine neue Richtung gelenkt wird,
  • ein Abstand zu bekannten Lösungen vorliegt und die Erfindung weitere technische Entwicklungen beeinflusst,
  • die Erfindung als „glücklicher Griff“ bezeichnet werden kann und ein Überraschungsmoment hat, d.h. nicht vorhersehbare Wirkungen hervorbringt,
  • technische Vorteile erzielt werden,
  • die Lösung durch Einfachheit besticht und oder Herstellungsverfahren deutlich verbilligt und vereinfacht.

Als Beweiszeichen gegen erfinderische Tätigkeit ist es zu werten, wenn

  • die Lösung im aktuellen „Mainstream“ liegt,
  • „nur“ die Übertragung von Bekanntem auf ein naheliegendes technisches Gebiet erfolgt, z.B. mikrotechnische Verfahren und Anwendungen "nanotechnologisch" verkleinert werden,
  • es sich um eine Kombination bekannter Elemente ohne Synergieeffekt oder ohne neue Nutzungsmöglichkeiten handelt,
  • lediglich Maßveränderung (z.B. Größe, Stärke usw.) stattfinden,
  • der Materialaustausch irrelevant ist,
  • es sich um eine reine Automatisierung handelt,
  • die Maßnahme rein handwerklich oder konstruktiv ist.

Alles was nicht nahe liegt, ist grundsätzlich patentfähig. Somit erfüllen viele technisch-naturwissenschaftliche Dissertationen die Anforderungen, „erfinderisch“ zu sein.